23|12|09: Werner Vogt †

Werner Vogt, 3.2. 1938 – 11.11. 2023 / Foto: Falter – Archiv

Heute wurde Werner Vogt auf dem Neustifter Friedhof oberhalb von Wien zu Grabe getragen. Viel Gutes und Richtiges ist über ihn zum Abschied gesagt worden, etwa von Armin Thurnher. Als angenehm empfinde ich, dass die Heuchler diesmal schweigen; jener Typus, der sich sonst nach Kräften bemüht, Menschen wie Vogt Steine in den Weg zu rollen, ihre Schläge als vermeintliche Ratschläge tarnen, Karrieren mit Lebensläufen verwechseln, kurz: die Existenz von Renitenz als so bedrohlich für ihre Halbherzigkeit empfinden, dass sie ihre Aversionen nicht mehr als Hinterfotzigkeit tarnen können und die blinde Wut aus ihnen hervorbricht. Werner Vogt hat in hierzulande seltener Eindeutigkeit Mißstände und dafür Verantwortliche benannt. Erst in der Medizin und dann unausweichlich in Gesellschaft und Politik. Er hat sich so gegen Vereinnahmungen erfolgreich gewehrt, auch postum. Auch dafür gebührt ihm Respekt.

Ich ergänze die Nachrufe um zwei Beobachtungen: Als im Frühjahr 1989 die sogenannten Todesengel von Lainz – vier Hilfsschwestern eines Wiener Krankenhaus – wegen des mehrfachen Mordes an PatientInnen angeklagt wurden und vor Gericht standen, war ich Redakteur bei der Wiener Stadtzeitung Falter. Werner Vogt kannte ich als zeitweisen Gast bei den meist sehr ausufernden Redaktionssitzungen und Kommentator von Mißständen in der Medizin und Mißverständnissen bei der Entstehung der Grünen. Anläßlich von Lainz kündigte er eine Artikelserie an. Das Zustandekommen hat mich als Redakteur und als Autor geprägt. Vogt war zu dieser Zeit bereits legendärer Oberarzt am Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus in Wien-Brigittenau. Während des Nachtdienstes verfasste er die Texte mit einer Füllfeder, sprach sie in Ärzte-Manier auf ein Diktaphon, ließ die Mini-Kasetten in der Früh von einem Fahrradboten in die Redaktion bringen, wo der Text von einer Kollegin im Satz erfasst (so hieß das damals, „einen Text erfassen“) und mit gräulicher Tinte auf grünlichem Endlospapier mit geringem Kontrast ausgedruckt wurde. Meine Aufgabe bestand nun darin am Abend gegen 22.00 Uhr Werner Vogt im Nachtdienst anzurufen und ihm den Text vom Vorabend vorzulesen, möglichst verständlich und exakt. Vogt unterbrach bisweilen, korrigierte Satzfehler, nahm kleine Umformulierungen vor, änderte aber nichts wesentliches. Die Serie erstreckte sich über mehrere Wochen. Vogt hatte viele Nachtdienst. Ich auch. Was mich schon damals faszinierte, war die Dissonanz zwischen dem Furor seiner Texte bei gleichzeitiger trockener Faktentreue. Bei anderen AutorInnen hätte die Entrüstung die Analyse überwältigt. Bei Vogt war diese Entrüstung niemals Selbstzweck, sondern nur ein erster Impuls, der die produktive Form einer exakten Entschlüsselung der Umstände ermöglichte. Und auch wenn seine Texte nüchtern, ja kalt wirken konnten, waren sie niemals kraftlos und hölzern. Im konkreten Fall hielt er sich nicht mit den vom Boulevard vorverurteilten Pflegekräften auf, sondern nannte die Verantwortlichen: die Ärzte, die Krankenhausmanager, die Politiker.

Es ist sehr verlockend, eine Analogie zu seinem Beruf als Unfallchirurg zu ziehen. Ein besonderes Merkmal dieses Fachs, auf dass mich Vogt einmal hinwies: Die PatientInnen sind im Regelfall gesund. Der Unfall wird dementsprechend als besonders schockierend empfunden. Ein Unfallchirurg muß mit dem Anblick der unglaublichsten Verletzungen umgehen können. Und nach diesen ersten, wahrscheinlich auch erfahrene Ärzte wie Vogt schockierenden Eindrücken müssen die oft lebensrettenden Operationen schnell, entschlossen, exakt erdacht und umgesetzt werden. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Falter wegen eines solchen, in diesem Geist verfassten Textes von Vogt jemals verklagt oder gar verurteilt worden wäre.

Nicht, dass es an solchen Drohungen oder entsprechenden Andeutungen gemangelt hätte. Zu meinen Aufgaben als Redakteur gehörte der Besuch der sogenannten Bürgermeister-PK, die Helmut Zilk damals wöchentlich ausrichtete. Es war keine Pressekonferenz im herkömmlichen Sinn, sondern eine Mischung aus Klassenwiederholung, mündlicher Prüfung und Elternsprechtag, mit der Zilk – ein gelernter Lehrer – entweder Gunst und Gnade den darum heischenden Journalisten erteilte oder aber an renitenten Störern in der letzten Reihe seinen Zorn ausließ. Ich saß oft in der letzten Reihe. Immerhin ertrug Zilk Widerworte; manchmal wurden daraus sogar fruchtbare Diskussionen, aber ja nicht coram publico, sondern danach in Zilks Büro, vom Pressereferenten diskret arrangiert. Der jeweilige, ebenfalls zum ursprünglichen Thema der Pressekonferenz bestellte Stadtrat versuchte in diesen Situationen mit der Wand hinter dem Pult zu verschmelzen; meistens erfolgreich. Nach einem dieser Donnerwetter anläßlich eines Textes von Vogt im Falter kam der Gesundheitsstadtrat noch während der PK zu mir in die letzte Reihe – Zilk hatte sich endlich einem anderen Thema zugewandt – und flehte: „Das kann er doch nicht machen, der Vogt.“ Doch, er konnte.

Vor allem aber, Vogt ließ sich von nichts und niemandem abhalten. Auch nicht als Ärztekammer und Kollegenschaft ihn dazu ermahnten, sich doch zu mäßigen, als er Ende der 1970er Jahre dem langjährigen Gerichtspsychiater Heinrich Gross wegen seiner Beteiligung an NS-Medizinverbrechen des Mordes an hunderten Kindern bezichtigte. Zu recht, wie sich nach mehreren Verfahren und Instanzen herausstellen sollte, allerdings letztlich ohne juristische Konsequenzen für Heinrich Gross. Im Jahr 2001 begannen Traudl Schmidt und ich die Biographie von Friedrich Zawrel zu recherchieren, der über Jahrzehnte und über alle Systemwechsel hinweg von Gross   verfolgt und mißhandelt wurde. Neben unseren langen interviews mit Zawrel waren die Gespräche mit Werner Vogt unsere Hauptquelle. Und hier ergänze ich die zweite Beobachtung: Vogt half uns völlig selbstverständlich und selbstlos. Er unterstütze das Projekt, griff auf Anfrage ordnend ein, öffnete aller Archive, die realen und die der Erinnerung, korrigierte, wie er es einst am Telefon im Nachtdienst gemacht hatte und wünschte uns allen alles Gute. Es stand außer Zweifel, er hätte diese Rehabilitation Zawrels genau so schreiben können, vielleicht sogar besser, weil dichter recherchiert. Wichtig war ihm das Ergebnis, ein ordentliches Buch. (Wie rar eine solche Haltung ist, wurde Traudl Schmidt und mir bewusst, als ein paar Jahre später ein Film über Zawrel erschien, der auf jede Erwähnung unserer Vorarbeit verzichtete.)

Was bleibt, ist Dankbarkeit. Und die Aufforderung, sich seiner prinzipiellen Fertigkeiten und Haltungen nicht nur zu erinnern, sondern sie auch anzuwenden: Expertise, Mut und Solidarität.

 

 

2 Gedanken zu „23|12|09: Werner Vogt †

  1. Franz Salinger

    Schade, dass er vön uns gegangen ist. Er war kein Schönfärber, sondern ein Humanist und hat für seine Visionen im Gesundheitssystem gekämpft! RIP

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