23|07|12: Fremde Federn

Edit 13.7.2023: Die Tiere in Schönbrunn behalten doch ihre Namen. Ich schwöre, ich hatte nichts damit zu tun! 

Der Direktor des Tiergartens Schönbrunn, Stephan Hering-Hagenbeck, erläuterte dieser Tage, dass die Zootiere in Zukunft ohne Namen auskommen sollen, um die Aufmerksamkeit weg vom lieblichen oder imposanten Individuum, hin zum generellen und globalen Artenschutz zu lenken. Das ist ein nobles Ziel. Ob es sich auf dieser Bühne namens Wien realisieren lässt, deren markanteste Regieanweisungen noch immer aus der Darstellungs- und Schaulust des Barocks zu schöpfen scheinen, wage ich leise zu bezweifeln. Schließlich befand die Kronen Zeitung anlässlich der Nationalratswahl 2008 zu Gunsten des damaligen SP-Vorsitzenden: „Tiere würden Faymann wählen“.

Dementsprechend waren in der Vergangenheit Tiertaufen beliebte Anlässe oft von budgetmäßig zuständigen PolitikerInnen, den Zoo aufzusuchen und sich mit dem entsprechenden Täufling abbilden zu lassen, auf dass die mediale Öffentlichkeit tags darauf in lieblichen Bildern davon erfahren sollte. Den Tieren war‘s egal, die Zoo-Menschen durften ihren akuten Finanzierungsbedarf im trauten Gespräch vortragen (und dann meist auch decken) und die PolitikerInnen konnten sich mit, tja, fremden Federn schmücken, also vom Renommee der beliebtesten Tourismusattraktion Wiens profitieren.

Diese Sehnsucht, ja Eitelkeit machten wir uns im Jahr 2002 zu Nutze, indem wir in der Redaktion des Universum Magazins einen Band erdachten, der zum 250. Geburtstag des ältesten Zoos der Welt erscheinen sollte. Der Titel war Programm: „Große Tiere in Schönbrunn“ (Wien/St. Pölten, 2002) porträtierte 50 Prominente aus Politik (z.B. Wolfgang Schüssel, Michael Häupl), Wirtschaft (Hannes Androsch, Elisabeth Gürtler), Wissenschaft (Anton Zeilinger), Kultur (Angelika Kirchschlager, Ioan Holender, Robert Menasse), Medien (Danielle Spera, Peter Rabl) und Sport (Steffi Graf, Vera Lischka) gemeinsam mit ihren Lieblingstieren. Die uns verblüffende hohe Quote an Zusagen ließ sich dadurch erklären, dass wir formal den Prominenten die Auswahl überließen. Nur milde verallgemeinert: Während die Frauen die Vielfalt des Zoos nutzten, kaprizierten sich die Männer auf einige wenige Viecher, die sich seit den Höhlenmalereien als Totem- und Wappentiere bewährt hatten. (Ausnahmen wie Michael Häupl, der in seinem Biologiestudium Bekanntschaft mit Leguanen geschlossen hatte, bestätigten die Regel.) Weil aber die Anzahl an Wappentieren auch in Schönbrunn endlich ist, bedauerten wir aufrichtig und schlugen eine Alternative vor, die meist auch angenommen wurde. 

Die zweite Überraschung fand dann vor Ort statt. Prominente vermitteln ihre Relevanz gerne durch einen prallen Kalender. Im Vorwort habe ich beschrieben, was aber dann passierte: „Einige Male erlebten Fotograf Homolka und Projektkoordinatorin Theresa Dirtl, dass der prominente Mensch, der eine Stunde zuvor, den schweren Zeitdruck beklagend, ein schnelles Foto und ein rasches Interview eingefordert hatte, nach Ende der Aufnahmen und des Interviews beschloss, den nächsten Termin absagen zu lassen – und den übernächsten gleich dazu –, um einfach noch ein bisschen im Zoo spazieren zu gehen. Der Tiergarten bringt die Menschen dazu, sich Zeit zu nehmen.“

Die dritte Überraschung offenbarte sich dann bei der Redaktion der Interviews. Die meisten Prominenten verlassen sich auf einen Katalog an gut eingeübten Antworten (gerne auch unabhängig von den Fragen). Im Kontakt mit den Tieren bröckelte dieser Festungswall der medialen Selbstdarstellung mal mehr, mal weniger. Die Gespräche gewannen an Tiefe, an Witz, an Sentimentalität und Reflexion. Bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich, dass die Tiere diesen therapeutischen Mehrwert verursacht haben. 

So entstand in den ersten Wochen des Jahres 2002 auch dank der fabelhaften Unterstützung des Teams des Universum Magazins – Eva-Maria Gruber, Nini Tschavoll und Jürgen Hatzenbichler – dieses Kaleidoskop an Artenschutz und Eitelkeit. Das Universum Magazin ist 2019 über den medialen Jordan geschickt worden, das Buch vergriffen (und deswegen hier als PDF – in niedriger Auflösung – abrufbar), aber ein paar Fotos von Homolka fanden sich noch auf der Festplatte und dementsprechend hier zur Ansicht. 

Und dem Direktor des Tiergartens Schönbrunn wünsche ich viel Glück bei der Umsetzung seiner pädagogischen Absicht.