23|01|27: Nobel im Frack

Anton Zeilinger ist nicht nur ein herausragender Wissenschaftler. Ganz früh hat er die Bedeutung der Wissenschaftsvermittlung erkannt. Was erklärt, warum er so gerne auf den Wissenschaftsball geht.

Eine Anprobe (aus dem Ballmagazin 2023) von Oliver Lehmann

Zwei Nobelpreisträger im Frack: Eric Kandel (Medizin 2001) und Anton Zeilinger (Physik 2022) beim Ordensvergleich am Wissenschaftsball 2017 / Foto: R. Ferrigato

Für die allermeisten frisch gekürten Nobelpreisträger (und die allermeisten sind noch immer Männer) beginnt die Planung der Preiszeremonie mit der Bestellung des allerersten Fracks ihres Lebens. Dementsprechend steif wirken die Wissenschaftler bei der Entgegennahme der Urkunde und der Medaille durch den schwedischen König. Die Einkleidung ist ohne Übung schon eine ziemliche Herausforderung; Naturwissenschaftler sind im Regelfall nicht für textile Finesse bekannt. Und sind Weste, Hemd (eigentlich ein gestärkter Latz), Elfenbeinknöpfe und weiße Masche aus Baumwollpikee erst einmal angelegt, bleibt dem Träger eigentlich gar nichts mehr üb-rig, als sehr steif und halbwegs würdig die Bühne des Stockholmer Konzerthauses zu queren und sich zu verbeugen.

Nicht so Anton Zeilinger. Der hatte nämlich längst einen Frack. Der Quantenphysiker trägt oft und gerne den „Großen Gesellschaftsanzug“, geht doch das Ehepaar Zeilinger oft und gerne auf Wiener Bälle, wie die Fotos der gegenüberliegenden Seite illustrieren. Zur Nobelpreisverleihung am 10. Dezember 2022 sollte es aber ein neuer Frack sein. Dem häufig getragenen Stück war ein second life als vintage piece vergönnt: Zeilinger brachte den alten Frack Größe 52 am Dienstag vor der Verleihung persönlich zur Carla, dem Caritas-Markt in Wien-Margareten.

Die Besuche der Festsäle in Hofburg und Rathaus sind nicht allein der Lust auf gute Unterhaltung geschuldet. Zeilinger hat sehr früh in seiner Karriere erkannt, dass er sein Forschungsfeld der Quanteninformation auch einem breiten Publikum vermitteln muss, also auch auf dem Tanzparkett. Nicht nur, weil derartige Grundlagenforschung mit Forschungsbudgets öffentlicher Einrichtungen finanziert wird, für die praktisch ausschließlich die Steuerzahler:innen aufkommen. Sondern weil Wissenschaft eine halbwegs aufgeklärte und interessierte Gesellschaft benötigt, um respektiert und gefördert zu werden. Wie wichtig ihm dieses Anliegen ist, merkte man Zeilinger in den Tagen rund um die Preiszeremonie an. In einem APA-Interview mit Christian Müller hielt Zeilinger fest: „Ich würde mir sehr wünschen, dass in Zukunft mehr Leute aus Österreich den Nobelpreis bekommen. Dafür muss man sehr früh in den Köpfen Wissenschaft als etwas ganz Normales, Alltägliches verankern und nicht als etwas Besonderes, das nur ein paar Exoten interessiert.“ Und dazu zählt laut Zeilinger die För-derung von Wissenschaftsjournalismus durch dessen Anerkennung als Qualitätskriterium im Kontext der staatlichen Medienförderung: „Ganz böse gesagt: Wenn man will, dass es in Österreich möglichst lange dauert, dass es wieder einen Nobelpreis gibt, dann steckt man möglichst wenig in den Wissenschaftsjournalismus.“
Zeilingers Aufgeschlossenheit gegenüber den Medien praktizierte er von Anfang seiner Karriere an, selbst wenn die Schlagzeilen manchmal gar zu vereinfacht waren. Andere Forscher hätten sich still in ihre Labore zurückgezogen, doch Zeilinger trug die Be-zeichnung als „Mr. Beam“ mit Würde. Anlässlich der Bekanntgabe des Nobelpreises im Oktober 2022 war Zeilinger medial omnipräsent wie sonst nur eine Oscar-Preisträgerin oder ein Papst – wobei Letzterer sich wahrscheinlich nicht ins „Willkommen Österreich“-Studio gesetzt hätte. Zeilinger schon.

Und als der Wissenschaftsball im Herbst 2014 etabliert wurde, zählte Zeilinger zu seinen ersten Unterstützern. In seiner Ballbotschaft machte er dem Organisationskomitee ausdrücklich Mut: „Was wäre Wien ohne seine Bälle? Auf keinen Fall Wien. In die-ser Stadt ,seinen‘ Ball zu haben, bedeutet, im Leben und in der Selbstwahrnehmung der Stadt eine sichtbare Rolle zu spielen. Die Wissenschaften und die Forschung spielen seit Langem schon eine bedeutende Rolle. Jetzt werden sie auch im Ballkalender, neben den traditionellen Bällen von Wiener Universitäten, sichtbar. Der Wiener Ball der Wissenschaften ist so gesehen eigentlich schon längst überfällig. Gut, dass es ihn nun gibt.“ Wir sind ihm für seinen Zuspruch bis heute sehr dankbar.

Zeilinger und sein „alter Frack“ im Caritas-Lager Carla / Fotos. Caritas

Zurück zum Frack: Selbst dieser Austausch wurde medial perfekt inszeniert. Per APA-Aussendung vermeldete die Caritas die Ablieferung des guten Stücks durch den Nobelpreisträger persönlich. Unter dem Titel „Dieser Frack wird Gutes tun“ kam das Teil bei einer Online-Versteigerung auf Facebook und Instagram unter den Hammer, der Erlös geht an Sozialprojekte der Caritas. Selbst im Secondhandshop gilt für Zeilinger also: Nobel im Frack.