19|12|18: Vom Prototyp zum Erfolgsmodell

Zwar nicht in BoB, aber immerhin im X-Mas-Falter: Chefredakteur Florian Klenk hat mich eingeladen, den Regierungsverhandler*innen ein paar Maßnahmen zur längst überfälligen Basisfinanzierung der Grundlagenforschung in den Weihnachtsstrumpf zu stopfen. Hier die etwas längere Ursprungsfassung mit dem entsprechenden Zahlenwerk. Zur Falter Weihnachtsausgabe hier entlang

Irgendwo liegt sicher Schnee. Damit ist einstweilen die Überlegenheit gegenüber der Schweiz wenigstens in sportlicher Hinsicht sichergestellt. Doch wenn es um wissenschaftliche Spitzenleistungen geht, schaut es ganz anders aus. Und das beeinträchtigt nicht bloß patriotische Wallungen am Hahnenkamm, sondern die Zukunftsfähigkeit des Landes. Klingt zu pathetisch? Na gut, ein Beispiel: Wie werden wir die Klimakrise bewältigen, wenn nicht mit den Erkenntnissen der Grundlagenforschung? 

Schon bisher zeigte sich, dass kleine Länder wie Israel, die Niederlande oder die Schweiz bei der Wirtschaftsentwicklung überproportional von Ausgaben für Wissenschaft und Forschung profitieren. Ein Maßstab zur Messung dieser Ausgaben ist die Forschungsquote, also die Ausgaben von angewandter und grundlagenorientierter Forschung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Agiert die angewandte Forschung primär im Auftrag von Investor*innen mit entsprechend übersichtlichen Adaptionen und somit kurzfristig wirksamen Ergebnissen, basiert die Grundlagenforschung auf der möglichst uneingeschränkten Wissbegierde von Wissenschaftler*innen. Die Resultate zeigen sich zwar oft erst nach Jahren – dann aber mit potenziell revolutionären Auswirkungen.

Während Österreich in den letzten Jahren aufgeholt hat und mit 3,19% Forschungsquote im europäischen Spitzenfeld liegt (1), hinkt die Grundlagenforschung hinterher. Beträgt der Grundlagen-Anteil an der Quote in der Schweiz (8,5 Mio. Ew.) 42% und in den Niederlanden (17 Mio. Ew.) 29%, genehmigt sich Österreich (8,8 Mio. Ew.) nur 19% (2). Das wirkt sich in der unterdurchschnittlichen Dotierung für den Wissenschaftsfonds FWF von 225 Mio. € pro Jahr aus oder umgelegt auf den Betrag pro Kopf der Bevölkerung von 25 €, während den Niederlanden diese Zukunftsinvestition doppelt so viel (53 €) und der Schweiz gar viermal so viel wert ist (110 €).

Dieses Missverhältnis ist nicht nur problematisch für die Grundlagenforschung, sondern auf Dauer auch für die angewandte Forschung, mangelt es doch ihren Investitionen an Nachhaltigkeit. Die nächste Bundesregierung hat die Chance das Missverhältnis grundsätzlich zu korrigieren. Die Methoden dazu sind gut erprobt, in kleinem Maßstab auch in Österreich. Jetzt geht es darum, aus Prototypen Erfolgsmodelle zu machen. 

•  Der European Research Council (ERC) ist eine kontinentale Erfolgsgeschichte, seine kompetitiv vergebenen Förderpreise (engl. „grants“) gelten weltweit als Goldstandard in der Grundlagenforschung. Österreichische Forscher*innen liegen nicht schlecht (24 Grants/1 Mio. Ew.), die Niederlande und die Schweiz aber wieder weit voran. ERC-Grants für Philosoph*innen und Historiker*innen zeigen, dass heimische Geistes,- Sozial- und Kulturwissenschaften bestehen können. Eine entsprechend konsequente Anwendung der kompetitiven Vergabeprinzipien für nationale Förderprogramme bei längst fälliger Budget-Verdoppelung des FWF wäre der erste Schritt.

Diese Exzellenzorientierung steht nicht im Widerspruch zu einer validen Finanzierung der Lehre an Universitäten und FHs: Jede noch so hohe und spitze Pyramide braucht ein breites und solides Fundament. Übrigens: Die Erfolge des ÖSV beruhen auf demselben Prinzip.

• Die Wissbegierde als Antrieb der Grundlagenforschung schließt nicht deren ökonomische Verwertung aus – gerade die radikale Natur ihrer Erkenntnisse eröffnet die Aussicht auf völlig neue Wirtschaftszweige. Genau formulierte Regeln für die Nutzung geistiger Eigentumsrechte aus dem universitären Kosmos und ihre strikte Anwendung haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Israel sich als Start-Up-Nation etabliert hat. Dazu kommen in Israel risikoreiche Finanzierungsmodelle und Kooperationsprogramme mit Personalaustausch zwischen Unis und Unternehmen wie in der Schweiz.

• Die Vermittlung der Relevanz von Grundlagenforschung steckt in Österreich noch immer in den Kinderschuhen, die TV-Kanäle des ORF sind beklagenswerte Exempel. Das Science-Center-Netzwerk oder die Kinder-Unis zeigen, wie sich forschungsferne Teile der Bevölkerung für das Grundprinzip des inquiry-based learning gewinnen lassen. Damit wird nicht nur das Interesse des wissenschaftlichen Nachwuchses von übermorgen geweckt, sondern Menschen jeden Alters Werkzeuge der Vernunft gegen fake news in die Hand gegeben.

• Die solide Dotation der angewandten Forschung in Österreich sollte Ansporn sein, der Grundlagenforschung die gleichen Ausgangsbedingungen zu gewähren. Zum Beispiel: Analog zur Forschungsprämie von 14%, die Unternehmen von der Steuer absetzen können, sollten bedingungslos gewährte Spenden für Grundlagenforschung in vergleichbarem Ausmaß und ohne Deckelung bei der Steuererklärung belohnt werden. 

Österreich könnte so zu den Niederlanden aufschließen. Die Schweiz kommt dann in der nächsten Legislaturperiode an die Reihe.

Oliver Lehmann war bis 2018 Vorsitzender des Klubs der WissenschaftsjournalistInnen und ist am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) für Stakeholder Relations verantwortlich.

(1) https://www.bmbwf.gv.at/Themen/Forschung/Forschung-in-Österreich.html

(2) Alle Zahlen (Quelle: FWF) hier und in Folge: http://www.oliverlehmann.at/wp-content/uploads/2019/12/AT-NL-CH-Vergleich_OLeh-1.pdf