13|03|09: Hungerkur auf dem Küniglberg

„Kommentar der anderen“ in Der Standard  9./10.3.2013

Mit der Ausstrahlung der Pseudo-Doku über Lichtnahrung macht der ORF nicht nur seine eigenen Mitarbeiter lächerlich; er fördert insgesamt die Marginalisierung des Wissenschaftsjournalismus.

706436main_20121114-304-193Blend_M6-orig_fullDie Fragwürdigkeit des Films „Am Anfang war das Licht“ ist unter anderem von Klaus Taschwer ausführlich und bereits 2011 im Standard belegt worden. Die Ausstrahlung verweist auf ein prinzipielles Problem: Es geht um die kontinuierliche Marginalisierung von Wissenschaft in Leitmedien wie dem ORF mit den entsprechenden Folgen erst für die Kommunikation und dann für das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Der Duden definiert „Marginalisierung“ als „Abschiebung ins Abseits“, in diesem Fall in das Abseits der medialen Wahrnehmung und damit der gesellschaftlichen Diskutierbarkeit.

Mit der Ausstrahlung von „Am Anfang war das Licht“ nutzt der ORF das empirisch nachweisbare, hohe Interesse und entsprechende Erwartungen beim Publikum, täuscht dieses jedoch durch die Simulation von Ausgewogenheit und einer Konstruktion von Objektivität. Die auf die Ausstrahlung folgende Diskussion diente letztlich nur vordergründig der Aufklärung des Humbugs, tatsächlich aber der Legitimation der Ausstrahlung. Ein Nebenaspekt ist die durchgängige Ablehnung und entsprechende Kommentierung des Films durch die journalistische peer community auf Twitter; die Aktivitäten der community werden aber vom ORF ebenso zur Legitimierung der Ausstrahlung genutzt, weil er damit auf hohe Resonanz in den sozialen Medien verweisen kann. Der Inhalt der Resonanz ist dem ORF hingegen egal.

Der Red-Bull Stratos-Event vom Herbst 2012 und die entsprechende ORF-Übertragung folgten ebenfalls diesem Muster der Simulation von Seriosität. Dass das nicht sein muss, stellen BBC, PBS und viele andere öffentlich-rechtliche Sender unter Beweis. Ein Beispiel: Die  Dokumentation „The Secret Life of the Manic Depressive“ von Stephen Fry über seine bipolare Störung (2006 auf BBC ausgestrahlt) löste in Großbritannien eine ebenso ausführliche wie seriöse Debatte über psychische Erkrankungen und ihre Stigmatisierung aus – und war nebenbei ein (2007 mit dem Emmy) ausgezeichneter Film, der zwar immer wieder die Grenzen des guten Geschmacks (auf Kosten und mit dem vollen Einverständnis des Hauptdarstellers) überschritt, aber immer auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnis blieb. Die Reaktionen auf solche ebenso seriösen wie publikumsträchtigen Dokumentationen sind  so überzeugend, dass sich Privatsender diesem Trend zur Seriosität nicht verschließen und mit bemerkenswertem Aufwand Dokumentationen selber produzieren; die Filme von Terra Mater für Servus TV sind nur ein, wenn auch besonders markantes Beispiel.

Die üblichen Gegenargumente des ORF überzeugen nicht. Im Fernsehen sind „Universum“ oder „kreuz und quer“  Pflicht und nicht Kür. Seriöse Wissenschaftsberichterstattung findet in Nischen wie Ö1 und ORF 3 statt, oft produziert von genau jenen freien Mitarbeitern, die unter besonderem ökonomischen Druck stehen. Diese Missachtung journalistischer Vermittlungs- und Aufklärungskompetenz hat nicht nur Konsequenzen für die eigenen Mitarbeiter. Am Leitmedium ORF nehmen sich auch andere Medienunternehmen ein Vorbild und kürzen konstant die entsprechenden Budgets. Eine vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten in Auftrag gegebene Studie zu der Arbeitssituation der Branche – die erste derartige Untersuchung in Österreich – wird im Frühjahr vorgestellt und diese Annahme empirisch belegen.

Die  Führung des ORF kann sich dafür entscheiden, die Marginalisierung des Wissenschaftsjournalismus weiter aktiv zu unterstützen beziehungsweise sogar zu forcieren; dass damit die Wissenschaftsredaktionen in Österreich weiter ausgehungert werden, wäre eine interessante Coda zu der Ausstrahlung der Pseudo-Doku über Lichtnahrung. Oder der ORF optiert dafür, sich der Debatte zu stellen, wie die Leistungen der in Österreich tätigen Forscher kommuniziert werden können und zwar mit dem Ziel eine grundsätzliche Diskussion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu ermöglichen – unterstützt, kritisiert und moderiert durch unabhängig agierende Wissenschaftsjournalisten, die im Stande sind, Qualitätsstandards zu definieren und die Ergebnisse einem großen Publikum zu vermitteln.

Oliver Lehmann  ist Vorsitzender des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten