Sachbuch-Kolumne Juni 2012

Fabelhafte Naturgeschichte: Die realen Ursprünge von Eichhorn und Phönix

Josef H. Reichholf ist ein ausgewiesener Fachmann. Der gelernte Evolutionsbiologe ist zudem ausgesprochen fleißig, wenn es darum geht komplexe ökologische Zusammenhänge populär und dennoch korrekt zu vermitteln. In seinem jüngsten Buch wechselt er nun die Seite von den Fakten zur Fiktion und widmet sich Fabeltieren wie dem Titel gebenden Einhorn und seinen Konsorten.  Reichholf ist schon immer durch seinen weiten Horizont aufgefallen. Diesmal bedient er sich mit erkennbarem Vergnügen an Mythologie und Kulturgeschichte und erkundet die realen Ursprünge der Fabeltiere. Deswegen erfahren wir, dass der Phönix eigentlich einem Flamingo-Ei entschlüpft ist, wie die spitzen, geraden Spieße der Oryx-Antilope (von der Seite betrachtet) zum Horn des Einhorns verschmolzen sind und wie sich eine ganzer Stall voller Nutztiere in Form von Tierkreiszeichen auf dem Sternenhimmel wieder findet. Ebenso lesenswert wie unterhaltsam.

„Einhorn, Phönix, Drache“ von Josef H. Reichholf, S. Fischer Verlag, 304 Seiten, Euro 20,60

Von SOS zur SMS: Wie die Morse-Zeichen die Welt eroberten

Eigentlich ganz einfach: Ein kurzes und ein langes Signal – maximal in Vierer-Gruppen angeordnet – reichen aus, um das Alphabet binär darzustellen. Der Erfinder dieses Systems war auch dessen Namenspate: Samuel Finley Morse begründete Anfang des 19. Jahrhunderts die moderne Kommunikation. Und wenn wir heute ein schnelles SMS schicken, um eine Verspätung anzukündigen, dann beruht die Nachricht auf der selben Technik wie das verzweifelte SOS eines untergehenden Dampfers auf dem Atlantik. Margit Knapp erzählt diese famosen Zusammenhänge trocken, ja fast beiläufig. Das ist deswegen angemessen und völlig ausreichend, weil sich selten genug in der Geschichte der Beginn einer umwälzenden Entwicklung so exakt ausmachen lässt wie im Falle der Erfindung des Morse-Alphabets. Die Folgen waren enorm: War die Übermittlung einer Nachricht bis dahin an das entsprechende Transportmittel gebunden, eilte die Nachricht nun mit der Geschwindigkeit des elektrischen Impulses durch das Tiefseekabel über den Atlantik. Die Welt rückte zusammen, die Globalisierung hatte begonnen – und zwar unwiderruflich.

„Die Überwindung der Langsamkeit“ von Margit Knapp, mare Verlag, 190 Seiten, Euro 20,50

Erwin Schrödinger: Biographie des Jahrhundert-Genies

Doch, die Katze kennt jeder, nämlich jene aus dem Gedankenexperiment des Quantenpioniers Erwin Schrödinger. Wie sie sich in die dunkle Kiste verirrte und was der Physik-Nobelpreisträger damit aussagen wollte, davon erzählt sein Biograph mit hoher Sachkenntnis, deren Preis eine bisweilen allzu trockene Darstellung der Vita des Genies ist.

„Erwin Schrödinger“ von Walter J. Moore, übersetzt von Thorsten Kohl, primus Verlag, 424 Seiten, Euro 30,80

Die Rehabilitierung des Dativ: Wie wir die Sprache verändern

Das Lamento über den Untergang der Hochsprache ist so alt wie die Sprache selbst. Und so ist es derzeit der Dativ, der angeblich der Tod des Genetivs sein soll und damit das (in diesem Fall) deutsch-sprachige Abendland endgültig über die Klippe stürzt. Dem Autoren-Team ist zu danken, weil es zum einen jede Menge Blödheiten ausräumt („Die Eskimos kennen 200 Begriffe für Schnee“). Zum anderen macht es klar, dass eine lebendige Sprache ständigen Veränderungen unterworfen ist – und der Genetiv schon seit 200 Jahren vom Dativ bedroht wird.

„Populäre Irrtümer über Sprache“ von Oliver Ernst, Jan Claas Freienstein und Lina Schaipp, Reclam, 168 Seiten, Euro 10,30

Henry D. Thoreau: Walden oder Hüttenleben im Walde

Ein Klassiker, zweifellos: Dieser Entwurf einer Naturphilosophie erzählt mehr über das unstete und selbstverständliche auch naive Wesen der USA als viele voluminösen Analysen. Anläßlich des 150. Todestags von Thoreau erneut bei Manesse verlegt, hat der Text jetzt auch die richtige Form, um im Wald gelesen zu werden.

„Walden oder Hüttenleben im Walde“ von Henry D. Thoreau, übersetzt von Fritz Güttinger, Manesse, 486 S., Euro 23,60

 

 

 

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