24|01|27: Das richtige Prinzip bewahren

Wie groß ist eine Tonne CO₂? So groß wie ein Würfel mit einer Kantenlänge von 8 Metern

Editorial des Ballmagazins 2024. Zu den Fotos der Nacht hier entlang.

„Wir leben in einer merkwürdigen Zeitung“, schrieb Kurt Tucholsky einst. Wer wollte ihm widersprechen? Wobei: Merkwürdig ist ein Hilfsausdruck. Die Zeit ist fordernd, die Meldungen aus den Krisenherden dieser Welt oft überfordernd. Und jene Zeitungen – heute: Medien –, die qualitätsvoll und bedacht Einordnung schaffen würden, stehen unter dem Druck der virtuellen und realen Schreihälse, die ein absolutistisches Verständnis von Wahrheit haben, kein dynamisches, das die Grundlage der wissenschaftlichen Methode bildet. In einer Zeit der Umbrüche mag die Sehnsucht vieler Menschen nach Eindeutigkeit verständlich sein, die Ausbeutung dieser Sehnsucht für totalitäre Zwecke ist es nicht.

Die Behauptung, dass alle aktuellen Kriege und Krisen in unterschiedlicher, aber letztlich nicht abweisbarer Intensität mit der menschengemachten Veränderung des Weltklimas zusammenhängen, ist nicht besonders verwegen. Die Gegenprobe macht sicher: Welcher Konflikt der letzten 20 Jahre ist es nicht? Dementsprechend lag es auch dieses Mal auf der Hand, dass wir als Organisationsteam das Klima als Leitmotiv ausgewählt und Ball-adäquate Darstellungsformen entwickelt haben. Im Vordergrund steht dabei die kreative, letztlich produktive Herangehensweise. Denn in Schockstarre zu verfallen, hilft nur jenen, denen auch ein gesellschaftlich positives Klima kein Anliegen ist.

Der CO₂-Würfel im Arkadenhof ist dafür ein gutes Beispiel (S. 28). Die Tonne CO₂ – ihre Entstehung, ihre Vermeidung und ihr Abbau – ist zur Leitwährung der Klimadebatte geworden. Doch wie groß ist so eine Tonne? Die Kooperation mit den Wiener Stadtwerken stellt sicher, dass das Anschauungsobjekt nachhaltig und dauerhaft in den nächsten Monaten zum Einsatz kommen wird. Ähnlich nachhaltig ist die Projektion von Poldi, dem Walfisch, im Aquarium, der nicht nur eine faszinierende Geschichte der Volkskultur, sondern auch des Artenschutzes erzählt (S. 12). Die interaktive Installation von Sabine Müller-Funk (S. 46), das Reiserätsel der Logiker:innen des VCLA von der TU Wien (S. 36), der Wandschmuck in der Disco durch Studierende der Akademie der bildenden Künste (S. 48) und der klimatologisch optimierte Tischschmuck der Wiener Stadtgärtner:innen (S. 54) ergänzen das Programm.

Diese Vielfalt der Präsentationsformen entspricht der Vielfalt der Wiener Wissenschaften. Längst erforschen nicht mehr nur Naturwissenschaftler:innen Ursachen und Zusammenhänge; Philosoph:innen, Ökonom:innen, Theolog:innen und Literaturwissenschaftler:innen erörtern die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft. Und diese Diversität lässt sich nur in einer offenen Großstadt entwickeln und sichern. Oder wie Bürgermeister Ludwig im Interview (S. 11) feststellt: Die Wissenschaft brauche „vor allem eine langfristige und verlässliche Perspektive. Und die kann die Stadt Wien garantieren.“

Die bemerkenswerte Politologin Lea Ypi – aus Albanien gebürtig und heute Professorin an der London School of Economics – hat dem verunsicherten Publikum unlängst im „Guardian“- Interview diesen Rat gegeben: „Hoffnung ist das Gegenteil von Nihilismus. Paradoxerweise muss man umso hoffnungsvoller bleiben, je schlechter es der Welt geht, um weiter kämpfen zu können. Hoffnung zu haben bedeutet nicht, das richtige Ergebnis zu garantieren, sondern das richtige Prinzip zu bewahren: das Prinzip, auf dem eine moralische Welt beruht.“