13|08|12: Die Obrigkeit und der Untertan (2007)

363910_iSebastian Hofers charmanter Text in der dieswöchigen Ausgabe des profil über das sich zunehmend entspannende Verhältnis zwischen Österreichern und Deutschen („Blühende Bekanntschaften. Warum Deutsche Österreich lebenswerter machen“) hat mich dazu angeregt, mir einen Text aus dem Jahr 2007 anzusehen. Anlaß für meinen „Kommentar der Anderen“ im Standard war der gewalttätige Übergriff eines Wiener Polizisten auf die damalige Spiegel-Korrespondentin Marion Kraske. Hofers Text lässt mich hoffen, dass sich seither die Dinge zum Besseren entwickelt haben – trotz der Postings sowohl damals im Standard wie heute im profil. Mehr zum Thema findet sich in dem von mir angeregten Band „Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich“, den 2009 Eva Steffen im Czernin Verlag herausgegeben hat, inklusive eines Textes von mir.

Die Obrigkeit und der Untertan

Ein Fall von Germanophobie: Zu den Reaktionen auf Polizei-Übergriff auf deutsche Journalistin die in Wien bei Rot über die Kreuzung fuhr – Von Oliver Lehmann

Normalerweise ist das so: Geschieht einem Ausländer in Österreich durch die Obrigkeit Unrecht, kann man sich halbwegs darauf verlassen: Die einen treten hinterher und halten Beleidigungen und Gewalt gegen Ausländer für probate Umgangsformen. Die anderen schreien auf und wahren damit den Schein, dass es sich bei Österreich um ein normales, westeuropäisches Land handelt, in dem Polizeiübergriffe zwar vorkommen können, aber entsprechend untersucht und geahndet werden. Ist eine Deutsche – wie im gegenständlichen Fall die Spiegel-Korrespondentin Marion Kraske – von Polizeigewalt betroffen, wird diese Automatik außer Kraft gesetzt. In den Online-Foren von Standard und ORF sind sich diesmal die einen und die anderen mehrheitlich höhnisch einig, Kraske sei selber schuld, dass sie wegen 7 Euro wie eine Schwerverbrecherin in Handschellen abgeführt wird, soll sie sich doch nicht so blöd haben. Tatsächlich kann man Kraske einen Vorwurf machen: Sie hat reguläre rechtsstaatliche Standards bei österreichischen Polizisten erwartet. Doch während in Deutschland eine Amtshandlung mit der namentlichen Vorstellung des Beamten beginnt – vorausgesetzt, man hat keinen Pflasterstein in der Hand –, wird in Österreich erst einmal die Differenz zwischen Obrigkeit und Untertan hergestellt.

Ein anderes Beispiel für die irrtümliche Anwendung transparenter Standards nach westeuropäischem, gar deutschem Vorbild: In der ORF-Debatte „Im Zentrum“ kritisiert der Theologe Ulrich Körtner – österreichischer Staatsbürger mit deutschem Akzent – den Arzt Johannes Huber. Daraufhin muss sich Körtner von Huber sagen lassen, er habe ja keine Ahnung, schließlich gelten ja in Österreich andere Standards, „als dort, wo Sie herkommen“. Moderator und Co-Diskutanten schweigen.

Die Standards, kurz zusammengefasst: Rechtsstaatlichkeit, öffentliche Debatte, Benennung und Übernahme von Verantwortung, Respektierung von Minderheiten- und Verfassungsrechten: eine Kärntner Ortstafeldebatte wäre in Deutschland denkunmöglich.

Dass die einen johlen, wenn’s gegen die Piefke geht, ist schon klar. Aber warum freuen sich die anderen so? Möglicherweise weil die Germanophobie die legitimierte Fremdenfeindlichkeit der österreichischen Linken ist? Die Abgrenzung von Deutschland war nach 1945 unumgänglich für die Entwicklung einer österreichischen Identität – und zwecks Erlangung eines Sonderfriedens mit den Alliierten. Doch wäre es jetzt an der Zeit, diese Germanophobie als das zu erkennen, was sie ist: ein jämmerlicher Ersatz fürs Selbstbewusstsein.

Und dieses Selbstbewusstsein wird in einem Jahr noch dazu auf eine grauenhafte Probe gestellt: Nicht nur, dass die deutsche Nationalmannschaft bei der EURO 2008 wenigstens ein klein wenig besser als die Österreicher spielen wird. Außerdem sollen an die 2000 deutsche Polizisten in Uniform und ausgestattet mit allen Hoheitsrechten in Österreich Dienst tun. Dann könnten sich die Wiener Beamten, die Marion Kraske in Handschellen abführten, bei ihren Kollegen aus Berlin erkundigen, wie man eine Amtshandlung korrekt durchführt. (Oliver Lehmann/DER STANDARD Printausgabe 28.6.2007)

Zur Person
– Oliver Lehman ist Journalist und Wiener mit deutscher Staatsbürgerschaft.